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„Höhere Gewalt“ als Aufhebungsgrund?

In Zeiten der Pandemie fragen sich nicht nur Verbraucher, sondern auch einige Unternehmer, ob der Grundsatz des Bundesgerichtshofs „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) überhaupt noch Geltung finden kann.

Denn in vielen Normen des Zivilrechts tritt der Begriff der höheren Gewalt in Erscheinung, so u.a. direkt in den § 206 BGB (Verjährungshemmung) oder 701 III BGB (Haftung eines Gastwirts) oder indirekt u.a. in den §§ 275 (Unmöglichkeit einer Leistung), 313, 314 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage).

Der Gesetzgeber hat folglich in Kenntnis dessen, dass von außen kommende Ereignisse die Vertragsdurchführung beeinflussen oder gar komplett hindern können, eine Möglichkeit der Vertragsauflösung geschaffen. Gleichwohl darf dieses Ereignis nach Ansinnen der Rechtsprechung nicht in Zusammenhang mit betrieblichen Vorgängen stehen sowie aus der Perspektive eines verständigen Dritten mit der zu erwartenden Sorgfalt nicht anders abwendbar sein.

Aufgrund der Tatsache, dass die derzeitige Situation tatsächlich derart selten und bisher nie vorgelegen hat, wurden durch die Rechtsprechung Einzelfälle des Krieges und der kriegsähnlichen Zustände unter den Begriff subsumiert.

Und tatsächlich findet sich in der Rechtsprechung auch ein Hinweis, dass ebenso der Ausbruch einer Epidemie hierunter zu fassen sein kann, nämlich die seinerzeitige SARS- Epidemie (vgl. AG Augsburg 14 C 4608/03). Das AG Augsburg befasste sich mit dem § § 651j Abs. 1 BGB und fasste unter den dortigen Begriff der „hoheren Gewalt“ die vg. Virsugrippe. Denn, so das AG Augsburg, „Die Beurteilung ob die höhere Gewalt eine erhebliche Erschwerung, Gefährdung oder Beeinträchtigung der Reise zur Folge hat, ist nicht anhand der subjektiven Einschätzung des Reisenden zu treffen, sondern anhand der objektiven Lage im Zeitpunkt der Kündigung. Bei der ex-ante-Beurteilung dürfen die Anforderungen an eine Gefährdung von Leib und Leben des Reisenden im Interesse seines berechtigten Sicherheitsbedürfnisses nicht zu hoch angesetzt werden.“ sowie „Bei dem Auftreten von SARS in China 2002/2003 handelte es sich um eine Epidemie. Dies ist ein Fall von höherer Gewalt i.S.d. § 651j Abs. 1 BGB.“

Bei jeder Betrachtungsweise muss jedoch auch die Frage der anderweitigen Abwendbarkeit Berücksichtigung finden. Im vg. Fall urteilte das AG Augsburg hierzu: „Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit für ein schädigendes Ereignis verbietet sich eine schematische Betrachtung, z.B. dass eine Eintreffwahrscheinlichkeit von mindestens 25% zu fordern sei. Auch die Warnhinweise des Auswärtigen Amtes sind allenfalls ein Indiz für die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung.“ Auch der Bundesgerichtshof ging bereits der Frage nach, nämlich dass diese Frage am Erkenntnishorizont eines durchschnittlichen Normadressaten zu messen sei (vgl. BGH NJW 2010, 2942; BGH NJW-RR 2011, 1144; BGH NJW 2006, 996).

Zusammenfassend lässt sich wohl feststellen, dass es einer Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls bedarf und ebenso auch bei der Formulierung von allgemeinen Vertragsklauseln Berücksichtigung finden muss, um nicht in die Nichtigkeit des § 307 BGB zu abzudriften.